Pizza am Stiel, Salat in Scheibenform – die Industrie erfindet immer neue Sachen, damit das Essen noch schneller geht. Dieser Trend wird sich jedoch ändern.

Auf der „Anuga“, der weltweit größten Lebensmittelmesse in Köln, die vor kurzem zu Ende ging, lässt sich trefflich die Befindlichkeit moderner Gesellschaften ablesen. In der Art und Weise, wie wir uns ernähren, drücken sich alle unsere Sehnsüchte, Wünsche, aber auch Defizite aus. Wer den Menschen auf den Teller schaut, kann in ihre Seele blicken.

Ein Steak sollte man sich nur selten gönnen

Was sagt uns also die Pizza am Stiel aus dem Toaster – eine der vielbeachteten Neuheiten der diesjährigen „Anuga“? Es bedarf keiner komplexen Analyse, um zu erkennen, dass bei Verzehr und Zubereitung die letzten Zeitreserven herausgequetscht werden. Selbst der Pfannkuchen lässt sich heute bequem im Toaster zubereiten. Eier- oder Fleischsalat gibt es in Scheibenform fürs Brot – auch das spart wertvolle Minuten. Die wollen gewonnen sein, damit man später mehr Zeit zum Entspannen hat, zum Beispiel beim Yoga.

Immer in Eile

Die Gründe für den Boom von derlei Convenience-Food sind schnell genannt: Die veränderte Rolle der Frau, die sich heute nicht mehr in der Küche, sondern in den Chefetagen aufhält. Die wenig veränderte Rolle der Männer, die sich ebenso in den Büros aufhalten. Die gestiegene Mobilität, die Menschen ständig unterwegs sein lässt. All das führt dazu, dass wir unterhalb der Woche hektisch zur Pizza am Stiel greifen und am Wochenende das Slow-Food-Menü zelebrieren.

Dazwischen, auch das ein auf der „Anuga“ deutlich sichtbarer Trend, wird zum laktosefreien Produkt gegriffen. Zum Beispiel zum laktosefreien Schinken, der zwar von Natur aus gar keinen Milchzucker enthält, sich aber trotzdem gesünder anfühlt und daher einen höheren Preis zu rechtfertigen scheint. Im Schnitt liegt der Preisaufschlag von laktosefreien Produkten bei 95 Prozent. Gar 383 Prozent teuer als normales Schwarzbrot verkaufte Omira unter der Marke MinusL vor einem Jahr sein als gluten- und laktosefrei deklariertes Schwarzbrot.

Zahnfreundlicher Zucker


Die Lebensmittelindustrie hat erkannt, dass sich ihre Produkte wunderbar als Gesundheits-Placebo eignen. Nachdem wir uns an probiotische Joghurts gewöhnt haben, macht sich jetzt funktionellerZuckerdran, die Regale zu erobern. Isomaltulose heißt das Wunderprodukt und soll besonders zahnfreundlich sein und die Blutzuckerkurve niedrig halten.

Hartmut König, der Ernährungsreferent der Verbraucherzentrale Hessen, meint dazu: „Wir sagen grundsätzlich zu funktionellen Lebensmitteln: Solche Produkte brauchen wir bei einer ausgewogenen Ernährung mit hohem Frischeanteil nicht.“ Es könnte eigentlich so einfach sein.

Doch der Blick auf ein einzelnes Produkt, zum Beispiel die Süßigkeit, oder auf einen einzelnen Gesundheitswert wie demCholesterin, verzerrt die Perspektive. Es ist nicht der Joghurt, der uns gesünder macht, sondern unsere Lebensweise: ob wir uns ausreichend bewegen, genügend schlafen und abwechslungsreich ernähren. Darin liegt nicht nur ein Hebel zu mehr Gesundheit, sondern auch zu mehr Lebensgenuss.

Gemüse selber anbauen


In der Zukunft kehren wir im wahrsten Sinne des Wortes „zurück zu den Wurzeln“. Wir werden öfter zu Fuß gehen oder das Fahrrad für den Weg zur Arbeit nehmen -weil es schneller oder stressfreier ist und die Gebühr für das Fitness-Studio spart. Wir werden anstelle von Functional Food als Urban Farmer frisches Gemüse vom Balkon ernten. Denn das ist gesünder und macht zudem noch Spaß

Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler schreibt in ihrem Food Report 2014: „Sobald man anfängt, den Weg zur Gesundheit nicht mehr über Verbote, Unterlassungen und den genussfeindlichen Fokus auf abstrakte Nährwerte zu beschreiben, sondern über positive Impulse, den Blick auf Geschmack, Vielfalt und Qualität, ergeben sich viele Möglichkeiten, ihn auch mit Genuss zu beschreiten.“

Worum es ihr geht und was ein zukunftsorientierter Pfad ist: gesunde Ernährung aus den Laboren der Industrie und den Ideologie-Ecken der Erleuchteten zu holen und zum selbstverständlichen Alltagsgenuss zu machen. Man muss kein Veganer sein, um sich gesund zu ernähren. Das geht auch als Flexitarier. Der Begriff bezeichnet „fleischessende Vegetarier“ – maßvolle, auf Tierschutz bedachte und sehr qualitätsbewusste Fleischesser. Auf diese Weise, so Rützler, „kann Fleischverzehr wieder zu etwas Besonderem werden, das man mit Genuss statt schlechtem Gewissen zelebriert“.
19.11.2014 | 16500 Aufrufe

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