Die jüngste Solartechnik braucht nicht mehr aufs Dach, sondern präsentiert sich als „Sonnenblume“ voller Parabolschüsseln. Ästhetik geht hier mit der Erhöhung des Wirkungsgrades auf 80 Prozent Hand in Hand.

 

Jeder, der schon einmal mit Lupe und Sonne experimentiert hat, kennt die Wirkung gebündelter Solarkraft. Dank der Kombination hocheffizienter Solarzellen und eines aktiven, von IBM entwickelten Kühlsystems steigt der Wirkungsgrad bis zu 80 Prozent. Ein Tracking-System führt die Schüssel um zwei Achsen immer direkt der Sonne nach. Daher rührt ihr informeller Name „Sonnenblume“. Der Clou: das Hirn der Anlage ist Embedded-Hardware, die grafisch mit LabVIEW programmiert wird!

 

Die 10 Meter hohe und 10 Tonnen schwere Sonnenblume hat eine Lebensdauer von bis zu 60 Jahren. Sie liefert an einem sonnigen, wolkenlosen Tag 32 kW Leistung, was über eine Zeitdauer von 10 Stunden (zum Beispiel in einer Wüstenregion) 320 Kilowattstunden Energie pro Tag erzeugt, womit mehrere durchschnittliche Haushalte versorgt werden können. Eine größere Anlage mit mehreren Sonnenblumen könnte demnach genügend Energie und Wasser für ein Dorf liefern. Die Sonnenblume besteht im Kern aus folgenden drei Systemkomponenten:

 

Optik: Eine 40 Quadratmeter große Parabolschüssel enthält 36 elliptische Spiegel. Diese sind mit einer nur 0.2 Millimeter dünnen, silberbeschichteten Kunststofffolie verbunden. Sie ähnelt der Verpackungsfolie von Schokolade und wird mit kontrolliertem Unterdruck verformt und an die gekrümmten Spiegel gesaugt. Damit bündeln sie die Sonnenstrahlen im Brennpunkt auf das 2000-fache ihrer Energie. Eine luftgefüllte, klimageregelte Kunststoffhülle schützt einerseits vor Regen, Hagel und Staub und andererseits Vögel gegen Verletzungen.

 

Empfänger: Im Brennpunkt der Parabolschüssel trifft die konzentrierte Sonnenenergie auf 6 Empfänger (Receiver), die jeweils mit 36 Photovoltaik-Thermischen Multizellenempfängern bestückt sind. Im Laufe eines sonnigen Tages kann jede dieser einen Quadratzentimeter großen Zellen bis zu 57 W produzieren, was einer Gesamtleistung von 12 kW entspricht. Ohne Kühlung würden die Zellen jedoch bei 1500 Grad verglühen.

 

Dies verhindert ein von IBM für ihre Supercomputer entwickeltes Kühlsystem, das Verlustleistung in thermische Energie konvertiert. Mikrokanäle unter den Zellen bringen dabei 85-90 Grad heißes Wasser bis auf wenige Zehntelmillimeter an diese heran und halten deren Betriebstemperatur auf 105 Grad. Dabei werden zusätzliche 20 Kilowatt gewonnen, was zum Beispiel für Entsalzungsanlagen genutzt werden kann. Inspiration für diese Kühltechnik war das hierarchisch verzweigte Blutsystem im menschlichen Körper.

 

Tracker: Für bestmöglichen Wirkungsgrad wird die Schüssel per Tracking kontinuierlich der Sonne nachgeführt. Das geschieht in mehreren Phasen. Zuerst ermittelt der Tracker dank aktueller Meteodaten die ungefähre Lage der Sonne und führt eine Grobpositionierung der Schüssel aus. Anschließend ermittelt ein Sonnensensor den aktuellen Positionsvektor und regelt die Schüssel nach. Schließlich wird sie kontinuierlich zur Sonne hin ausgerichtet. Dabei wird die Ausleuchtung aller Photovoltaikzellen gemessen und der Tracker für bestmöglichen Ausgleich nachjustiert. Das Tracking geschieht über zwei Schrittmotorachsen mit Absolut-Encodern in der Rückführung.

 

Dank des radikal kostengünstigen Designs lässt sich die Anlage auch in ärmere Länder verkaufen. So ließ sich die Anzahl der Solarzellen dank der Konzentration auf ein Minimum reduzieren. Dadurch kann man sich im Gegensatz zu flächendeckenden Klassikern die etwas teureren, jedoch effizienteren Zellen leisten. Durch die enorme Leistung im Brennpunkt müssen diese Zellen gekühlt werden, was wiederum nutzbare thermische Energie liefert. Anstelle teurer Spiegel kommen kostengünstige pneumatische Folien und eine günstige Betonstruktur zum Einsatz, deren Herstellungstoleranzen wiederum durch Sensorik, Hardware und Software kompensiert werden kann.

 

Schließlich ist geplant, die Sonnenblume vor Ort zu produzieren, damit einerseits die Transportkosten minimiert und dank lokalen Produktionsbetrieben die Herstellungskosten reduziert werden können. Aus Sicht eines Ingenieurs fasziniert vor allem der innovative Charakter in Bezug auf Interdisziplinarität, Wirtschaftlichkeit und Technologiemix. Bau-, Mechanik-, Optik-, Elektronik- und Softwareingenieure arbeiten agil und Hand in Hand auf ein gemeinsames Ziel hin und denken im System.

 

Wirtschaftlichkeit: Die Struktur ist aus Spezialbeton hergestellt. Diese faserhaltige Mischung härtet in wenigen Stunden in jeder beliebigen Form aus und verfügt dann über ähnliche mechanische Eigenschaften wie Aluminium, bei nur einem Fünftel des Preises. Technologiemix vom Feinsten: von grober Betonstruktur über das mikromechanische Kühlungssystem bis zur Steuerungselektronik mit Multicore, FPGA und 4GL/DSL-Programmiersprache. Das Hirn der Sonnenblume ist ein scheckkartengroßes System-on-Module (SoM) von National Instruments. Es ist in ein Baseboard eingesteckt, das alle notwendigen kundenspezifischen Schaltungen enthält.

 

Dank 667-MHz-Dual-Core-ARM9-Mikrocontroller, FPGA, CAN, 500 MB RAM, 1GB Solidstate-Flash, Gigabit-Ethernet und rund 160 GPIO's (General Purpose Input/Output) standen alle Funktionen zur Verfügung, die gefordert waren. Das SoM ist über CAN und dezentrale intelligente Knoten mit Dutzenden von Temperatur-, Druck- und Feuchtesensoren verbunden. Windmesser und Sonnensensor hängen beide am Modbus. Die Aktoren bestehen unter anderem aus zwei Schrittmotoren mit CANOpen-Absolutdrehgebern in der Rückführung, geregelt im FPGA. Da „LabVIEW FPGA“ CANOpen nicht unterstützt, war ein Trick nötig. Der Sensor wurde an einen kleinen Mikrocontroller mit CANOpen-Unterstützung angeschlossen und über dessen SPI-Bus mit dem FPGA verbunden. So ließ sich der Regler unabhängig auf dem FPGA realisieren.

Dieser externe Controller überwacht gleichzeitig die Versorgungsspannungen und Temperaturen der Embedded-Hardware und dient so als eine Art Wachhund. Andere Komponenten wie Kompressor oder Lüfter sind ebenfalls am FPGA angehängt und es gibt eine serielle Verbindung zum IBM-Receiver. Ist das System im Feld installiert, kann von extern live via VPN darauf zugegriffen werden, etwa für Ferndiagnosen und Firmware-Updates.

 

Viele kennen und schätzen den Charme des Entwicklungsbeschleunigers LabVIEW, sind aber skeptisch, ihn gerade im sensiblen Embedded- und Outdoorbereich wie der Sonnenblume einzusetzen. Was aber, wenn sich die „softe“ grafische Programmierung mit „harten“ Embedded-Funktionen wie Echtzeit, Interrupts, DMA, Low-Level-Treibern, ausfallsicheren Speichern, Watchdog, Fehlererkennung und -behebung und robustem 24/7-Betrieb kombinieren ließe? Dann erhält dieser Ansatz ein ganz neues Drehmoment. Bisher mussten nämlich Embedded-Anwendungen, deren Machbarkeit mit LabVIEW geprüft wurde, anschließend auf der Basis von C auf einem Microcontroller neu entwickelt werden. Jetzt lässt sich dieser Zusatzaufwand abkürzen, indem LabVIEW direkt als Embedded-Programmiersprache verwendet wird.

 

Die Möglichkeit, eigene LabVIEW-Hardware für ein Serienprodukt zu entwickeln, war aus zwei Gründen eine wichtige Anforderung für den Hersteller Dsolar. Erstens ist die Komplexität der Anwendung hoch und zweitens war schon von Beginn an klar, dass die Software laufend erweitert werden wird. Beides lässt sich durch eine abstrahierende Systemsprache besser bewältigen als auf die traditionelle Weise. Die Hardwareentwicklung wurde dem NI-Allianzpartner Schmid Elektronik anvertraut. Deren Projektbeiträge waren das Design des Power- und Hardwarekonzepts, die Schemaerfassung, das Layout sowie die Herstellung der Prototypen und Serie.

 

Softwareseitig wurden für jede Hardwarefunktion ein Low-Level-Treiber entwickelt und mit einem intuitiven LabVIEW VI (Virtuelles Instrument / Funktionsblock) abstrahiert. Anpassungen des Linux-Kernels gehörten ebenso dazu wie das Entwickeln individueller Gerätetreiber mit Eclipse und deren Einbinden in die LabVIEW Umgebung.

 

http://www.elektronikpraxis.vogel.de/power/articles/502559/

 

 

02.09.2015 | 15220 Aufrufe

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