Hightech-Textilien sind dabei sich zu etablieren. Kein Wunder also, wenn die Zukunft intelligenter Textilien von der Klimaregulierung über den Kampf gegen Schmerzen bis hin zu Naturmaterialien reicht.

Nichts ist uns näher als die Kleidung, die wir auf dem Körper tragen. Jahrtausende hatte sie vor allem die Aufgabe, uns vor den Unbilden der Umwelt zu schützen – und zu schmücken. Doch nun rüsten Ingenieure und Designer unsere T-Shirts, Hosen und Jacken mit neuen smarten Funktionen auf, um unsere Ausdauer zu steigern, Leiden zu lindern oder die Gesundheit zu überwachen. Und im Gegensatz zu vielen anderen High-Tech-Bereichen kommen solche Innovationen nicht allein aus den USA. Start-ups und Mittelständler in Deutschland, Österreich und der Schweiz schaffen gerade eine Renaissance der Textilindustrie. Während das Massengeschäft nach Asien abgewandert ist, gedeiht in Deutschland das Segment der High-Tech-Textilien.

 

Seit 2008 wächst dieses Geschäft regelmäßig um mehr als drei Prozent pro Jahr, 2014 erreichte es laut des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie hierzulande einen Umsatz von knapp fünf Milliarden Euro und steht für einen wachsenden Teil der 120.000 Beschäftigen in der gesamten Branche „Die Firmen bekommen den Transfer kluger Ideen aus den Hochschulen in Produkte schon recht gut hin“, erklärt Klaus Jansen diese Erfolgsgeschichte, Geschäftsführer des Forschungskuratoriums Textil in Berlin. Das zeigen beispielhaft fünf textile Trends.

 

  1. Trend: Prima Klima auf der Haut

Wer radelt, joggt oder Golf spielt, vergießt jede Menge Schweiß, um seine Muskeln zu kühlen. Bisher galt daher die Regel, Sportkleidung solle die Feuchtigkeit möglichst flott weg vom Körper leiten. Auch damit sich Laufshirt oder Radlerhose nicht unangenehm vollsaugen. Doch Bodo Lambertz, erfinderischer Chef und Gründer des Schweizer Unternehmens X-Technology mit Sitz in Wollerau nahe Zürich, ist sicher: „Es ist nicht sinnvoll, den Schweiß vollständig von der Haut wegzutransportieren.“ Besser sei, so Lambertz, ihn möglichst breitflächig auf dem Körper zu verteilen. Dann könne er seine Funktion erst richtig erfüllen: ein Überhitzen des Organismus zu verhindern. Daher leiten die Schweizer die Feuchtigkeit von dort, wo sie besonders üppig aus den Poren der Haut tritt, etwa über dem Brustbein und unter den Achseln, an Stellen wo der Sportler weniger schwitzt.

 

Beschleunigungssensoren, Pulsmesser, Mikrochips: Immer mehr Amateure drillen sich mit smarten Gadgets zum Athleten. Was vor einigen Jahren kaum zu bezahlen war, erobert nun den Massenmarkt der Freizeitsportler. Dazu bauen sie mit einem speziellen Garn winzige Kanäle in den Kleidungsstoff ein. So bleibt ein dünner Feuchtigkeitsfilm auf der ganzen Haut. Der verdunstet und entzieht dabei dem Körper Wärme. Überschüssigen Schweiß leiten Lamellen nach außen ab. Angenehmer Nebeneffekt dieser Klimaanlage: Wer nicht schwitzt – etwa beim Skisport – hat stattdessen eine Isolierschicht auf der Haut, weil sich in den röhrenförmigen Strukturen warme Luft sammelt und gegen Kälte schützt. X-Technology ließ seine Shirts und Hosen der Marke X-Bionic von der Universität Verona prüfen. Die bestätigte: Bei Anstrengung stieg die Temperatur unter der Kleidung nur halb so stark an wie bei herkömmlichen Produkten. Zudem bildete sich sieben Prozent weniger Laktat im Körper. Die Verbindung sammelt sich nach langen Belastungen an und macht sich als schmerzhafter Muskelkater bemerkbar. Die Kleidung wirkte fast wie ein Dopingmittel: Die Sportler waren nach Wettkämpfen wieder schneller fit, ihre Regenerationsphase verkürzte sich um 20 Prozent. So viel Textiltechnik hat ihren Preis: So kostet ein Herren-Lauf-T-Shirt rund 70 Euro.

  1. Trend: Kampf gegen Schmerzen

Ein Schritt, eine Drehung, dann schlägt der stechende Schmerz ein wie ein Blitz. Aus Angst davor meiden Patienten mit Rücken- oder Kniebeschwerden die kleinste Bewegung oder intensiven Sport, viele schlucken Medikamente. Die Brüder Tobias und Johannes Weigl, Gründer der Bonner Medizintechnikfirma Bomedus, glauben, einen alternativen Weg gefunden zu haben: Strom soll die Schmerzen erträglicher machen. Sie bieten ein textiles Band an, das aussieht wie ein überdimensionaler Gürtel und an der betroffenen Stelle angelegt wird.

Das Besondere daran sind textile Elektroden, die das Unternehmen auf der Grundlage von Erkenntnissen des Textilforschungsinstituts Thüringen-Vogtland (TITV) in Greiz zusammen mit dem Universitätsklinikum Bonn entwickelt hat. Es verwebt dazu leitfähiges Kunstfasergarn, das aus silberbeschichteten Polyamidfäden besteht, zu Punkten. Die senden elektrische Impulse an die betroffenen Nerven, die Neuronen feuern daraufhin Signale ans Gehirn. Der neue Reiz lässt die gespeicherten Schmerzen etwa von einem Bandscheibenvorfall vergessen, erklärt Tobias Weigl. Patienten berichten, durch die Behandlung seien ihre chronisch stechenden Schmerzen zwar nicht verschwunden, allerdings immerhin gedämpft. Die elektronischen Impulse fühlten sich so ähnlich an wie leichte Nadelstiche.

500 Euro kostet das Band, knapp 500 Patienten haben es gekauft. Fast allen scheine es zu helfen, sagt Bomedus-Forschungsleiter Christian Haberlandt, denn nur wenige geben es wieder zurück. Eine geplante Studie des Uniklinikums Bonn soll nun die Wirksamkeit unter kontrollierten Bedingungen zeigen. Diejenigen seiner Patienten, die das Band getestet hätten, berichteten von guten Erfahrungen, sagt Axel Hans, ein Bonner Orthopäde. „Aber man darf auch nicht erwarten, dass das Tragen eines Gürtels alle Beschwerden heilt.“

  1. Trend: Zurück zur Natur

Was waren sie lange verpönt, Omas gestrickte Wandersocken und Jacken aus kratziger Schafswolle. Ob für eine schweißtreibende Skitour oder einen ruhigen Spaziergang um den See – lieber rüstete sich der moderne Mensch mit Kleidung aus geschmeidigen Mikrofasern und atmungsaktiven Gore-Tex-Membranen aus. Inzwischen haben Hersteller ihren Kunden aber wieder Naturfasern wie Merinowolle nahegebracht. Denn die haben ihre Vorteile: Sie halten besser warm und sind geruchsneutral, anders als viele Kunstfasern. Ein erster Anbieter war die neuseeländische Outdoor-Marke Icebreaker, die derartige Funktionswäsche und andere Kleidungsstücke mittlerweile millionenfach verkauft. Auch deutsche Hersteller wie der Taufkirchener Sportausrüster Ortovox setzen darauf.

Heute entwickeln die Anbieter die Gewebe immer weiter – indem sie Wolle mit anderen Materialien kombinieren. Etwa ummanteln sie Nylonkerne mit Merinofasern, um dünne T-Shirt-Stoffe robuster zu machen. Oder verweben die Wolle mit Eukalyptusholz, was kühlend wirken soll. „Heute sind Fasermischungen sehr viel beliebter als früher“, sagt Karola Schäfer, Projektleiterin am Aachener DWI Leibniz-Institut für Interaktive Materialien. Bei besonders beanspruchten Produkten wie Socken, berichtet Markus Krüger, Produktmanager beim österreichischen Garnhersteller Schoeller, mischt er für seine Kunden auch schon mal 10 bis 20 Prozent des Kunststoffs Polyamid hinzu – sonst gibt es Löcher in der zarten Socke aus Merinowolle.

Die Klamotten aus Naturfasern sind nicht billig: So kostet ein schlichtes Damentanktop schon mal knapp 90 Euro – dafür soll es die Träger auch bei sommerlichen Temperaturen fit halten. Die Eigenschaften der Wolle vom Merinoschaf haben viele Sportler überzeugt: Im Gegensatz zu der anderer Rassen ist sie sehr viel feiner und kratzt daher nicht, erklärt Krüger. Sie ist atmungsaktiv, temperaturregulierend und trocknet schnell. Wer nach einer schweißtreibenden Bergtour auf dem Gipfel sitzt, muss also nicht fürchten, auszukühlen. Und da die Wolle antibakteriell wirkt, müffeln die Füße auch nach einer Sechsstundentour nicht.

  1. Trend: Intelligenz unterm Hintern

Ist der Fahrer des Autos oder Lkws übermüdet, hat er Stress, ist er gar ernsthaft krank? Immer stärker rückt der Gesundheitszustand des Menschen hinterm Steuer in den Blickpunkt der Autohersteller und Wissenschaftler. Denn Übermüdung ist nach zu hohem Tempo die zweithäufigste Unfallursache. Was liegt da näher, als die Fitness des Fahrers fortlaufend zu überwachen? Damit das klappt, arbeiten etwa die Thüringer Forscher vom TITV zusammen mit Autozulieferern am intelligenten Sitz. Die Ingenieure haben in Stoffe Sensoren integriert, die Puls, Herzfrequenz und Muskeltätigkeit des Fahrers messen. Das neue System wäre sehr viel genauer als die heute verfügbaren kamerabasierten Konzepte. Sind die Werte zu niedrig, leuchtet eine Kaffeetasse im Armaturenbrett auf, um den Fahrer zu warnen: „Du bist müde, mach eine Pause.“ Die Systeme schlagen schon Alarm, wenn der Fahrer den Blick zu lange schweifen lässt, um sich die Gegend anzuschauen.

In Zukunft kann das neue System, wenn es Stress bei der Person am Steuer erkennt, in brenzligen Phasen die Musik leiser stellen oder Handyanrufe unterdrücken. Sollte der Fahrer gar ohnmächtig werden, könnte der Bordrechner die Notsituation erkennen und das Steuer übernehmen, um den Wagen sicher am Straßenrand zu stoppen. Stephan Heuer, der am Forschungszentrum Informatik (FZI) in Karlsruhe die Abteilung Medizinische Informationstechnik leitet, hält die Sensoren im Fahrersitz für eine „tolle Messmethode“: Der Fahrer spüre nichts von ihnen, müsse für die Messung keine Elektroden am Körper befestigen. Das Ganze funktioniert sogar durch mehrere Lagen T-Shirts plus Pulli problemlos. Nur ganz dicke Wintermäntel und elektrisch leitende Stoffe behindern gelegentlich die Messungen. Aber das wollen die Ingenieure durch geänderte Sensoren in den Griff kriegen.

  1. Trend: Wundersames Schutzschild

Wenn Häuser, Fabriken oder Lastwagen lichterloh brennen, brauchen Feuerwehrleute Anzüge, die sie vor Hitze, Funken und Gasen schützen. Die heute verwandten Modelle schränken aber die Beweglichkeit ein, weil sie schwer und steif sind. Nun verspricht ausgerechnet ein Stoff Abhilfe, der in jedem simplen Bleistift steckt. Er nennt sich nach dem Graphit, dem Material in der Mine, Graphen. Es besteht nur aus einer einzigen Lage von Kohlenstoffatomen. Die Atome sind regelmäßig in Sechsecken angeordnet, ähnlich einem Hasendraht. Was die Graphene so begehrenswert macht, sind ihre Eigenschaften, die sich so kolossal von dem Graphit im Bleistift unterscheiden: superdünn und transparent, extrem strom- und wärmeleitfähig, zugfester als Stahl und dennoch flexibel, abriebbeständig und wenn nötig auch noch durchlässig für Gase.

Diese wundersamen Fähigkeiten machen sich Forscher des schwäbischen Hohenstein Instituts für Textilinnovation zusammen mit einem Verbund von Pionierunternehmen zunutze. Im Rahmen eines EU-geförderten Projekts wollen sie leichte, bequeme Schutzkleidung aus der Kohlenstoffverbindung für Feuerwehrleute, Metall- und Chemiearbeiter entwickeln. Dazu versuchen die Forscher, eine wässrige Graphen-Mischung mit verschiedenen Textiloberflächen dauerhaft zu verbinden. Projektleiter Roshan Paul ist überzeugt: „Die Vorteile sind so groß, dass das Material den Bereich der Hitzeschutzkleidung revolutionieren wird.“

 

Quelle

http://www.wiwo.de/technologie/gadgets/intelligente-kleidung-fuenf-trends-die-unsere-textilien-revolutionieren/11933114-all.html

 

 

12.10.2015 | 9080 Aufrufe

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