Künstliche Intelligenz sei das nächste grosse Ding, prophezeit Jared Cohen, Leiter des Think-Tanks Google Ideas. Um den digitalen Wandel zu überleben, rät er Unternehmen, zu Tech-Firmen zu werden.

 

Bedrohung für alle Taxifahrer: Das selbstfahrende Google-Auto weicht selbstständig einem Velofahrer aus. (Mountain View, 29. September 2015.) (Bild:Elijah Nouvelage / Reuters)

 

Die Foto-App von Google erkennt Berge oder Autos. Diese Fähigkeit wurde nicht programmiert, sondern von Computern erlernt. Google setzt maschinelles Lernen auch bei Spracherkennung oder Übersetzung ein. Künstliche Intelligenz (KI) ist nach jahrzehntelangem Auf und Ab wieder in Mode: Tech-Konzerne investieren Millionen. Facebook betreibt ein KI-Lab, IBM setzt auf ihr lernfähiges System Watson.

«KI und maschinelles Lernen sind das nächste grosse Ding», sagte Jared Cohen am Dienstag an einer Investorenkonferenz von Julius Bär. Der 33-Jährige ist seit fünf Jahren Chef von Google Ideas – dem Think-Tank innerhalb des Suchmaschinenkonzerns.

 

Jared Cohen: Googles Wunderkind

Um die digitale Zukunft zu verstehen, muss man jung sein. Das hat Eric Schmidt verstanden. Der langjährige Google-Chef und seit 2011 Präsident des Konzerns holte Jared Cohen 2010 als Chef des Think-Tanks Google Ideas. Zusammen haben sie das Buch «Die Vernetzung der Welt – Ein Blick in unsere Zukunft» geschrieben, das 2013 erschienen ist. Der heute 33-jährige Cohen war im US-Aussen­depar­tement Berater von ­Hillary ­Clinton und Condoleezza Rice und hat schon über 70 Länder bereist.

 

 

 Optimistischer Blick in die Zukunft: Jared Cohen, Chef von Google Ideas. (Zürich, 20. Oktober 2015) (Bild: Pascal Mora)

 

Laut Cohen stehen wir noch am Anfang. Digitale Assistenten sollen uns in Zukunft Arbeit abnehmen. Letztes Jahr hat Google die britische KI-Firma Deep Mindfür geschätzte 500 Mio. $ gekauft und damit Facebook ausgestochen. Das 2011 gegründet Startup will das Rätsel der Intelligenz lösen. Deep Mind hat dafür etwa ihren Algorithmus mit 49 Atari-Games und minimaler Anleitung gefüttert. Durch das Feedback musste dieser lernen, wie das Spielprinzip funktioniert und wie er die Punktzahl erhöht. Über Nacht entwickelte das Programm schliesslich eine perfekte Strategie, die jeden Menschen schlägt.

 

 

 Arbeitsplätze sind bedroht

Jaren Cohed redet und denkt schnell. Er bestellt in der Lounge einer Zürcher Bar einen doppelten Espresso. Obwohl er die Google-Werte lebt, will er nicht über den Konzern sprechen, sondern lieber darüber, wie die Digitalisierung die Welt verändert. Dabei geht es ihm aber immer auch um die Interessen seines Arbeitgebers.

Experten halten wegen der raschen Entwicklung von KI und Robotik viele Berufe in der nicht so fernen Zukunft für bedroht (hier, hier oder hier). Selbst gut Ausgebildete würden nicht verschont bleiben. Massenarbeitslosigkeit drohe. Google-Gründer Larry Page zeigte sich im Interview mit dem Magazin «Der Spiegel» vom 17. Oktober (nicht online) optimistisch, dass man damit werde umgehen können. Doch einen konkreten Lösungsansatz blieb er schuldig.

Auch Cohen hält die Auswirkungen der Automation auf die Arbeitswelt für eine reale, wichtige Angelegenheit, die man durchdenken solle. «Aber wir haben dabei oft einen binären Ansatz. Technologie ist nicht gut oder schlecht: KI wird auch Firmen helfen und unsere menschlichen Fähigkeiten erweitern», sagt er. Cohen glaubt nicht, dass Massenarbeitslosigkeit mittelfristig zum Thema wird. «Wir übertreiben oft, wie schnell eine Veränderung stattfinden wird. Das schafft unnötigen Alarmismus. Wir können nicht heute unser künftiges Schicksal verkünden oder eine Prognose zur Realität erklären», sagt er. Bis KI zu einer Bedrohung wird, bleibt der Gesellschaft also noch etwas Zeit, um Lösungen zu erarbeiten und Massnahmen zu ergreifen.

Dass viele Menschen nicht mit den Algorithmen werden mithalten können, bestreitet Cohen nicht. «Jede Generation hatte neue Technologien, die Arbeit ersetzten.» In der Vergangenheit sei man manchmal besser, manchmal schlechter damit umgegangen. Die Frage sei, was für eine Mischung aus Fertigkeiten die Menschen künftig brauchten, um von der Automation nicht bedroht zu sein. Laut Cohen braucht es einen verstärkten Fokus auf das Ingenieurwesen und IT. Diese Revolution des Bildungssystems sei schon voll im Gange. So werde es künftig weltweit viele schlaue Leute geben, die dank ihren technischen Fähigkeiten neue Firmen gründen. Das Argument führt Cohen auch an, wenn man ihn auf den weltweiten Siegeszug weniger Konzerne aus dem Silicon Valley anspricht, unter dem mehr und mehr lokal verankerte Firmen leiden, weil sie digital nicht mithalten können. «Selbstverständlich werden Firmen durch die Automatisierung und andere Innovation beeinträchtigt. Deshalb besteht die Gefahr, dass die Technologie als Blitzableiter missbraucht wird», sagt Cohen.

 

Mut für eigene Ideen

Angesichts des raschen technologischen Wandels rät er allen Unternehmen, zu Tech-Firmen zu werden. Sie müssten sich überlegen, wie sie aus ihrem Kerngeschäft und ihrem Wettbewerbsvorteil Neues schaffen. Dafür müsse man maximale Agilität erreichen und Innovation integrieren. Einfach eine Innovationsabteilung oder einen -zaren zu schaffen, hält Cohen aber für den falschen Weg. «Es braucht eine balancierte Anreizstruktur, die Leute belohnt, wenn sie innovativ sind, und sie nicht bestraft, wenn sie falschliegen.»

Bei Google habe man dafür die 20-Prozent-Zeit eingeführt, in der die Ingenieure Risiken eingehen können, um etwas Neues zu versuchen. Gmail, Google News und Maps sind daraus entstanden. Dabei gehe es darum, die eigene, wertvollste Ressource, Ingenieure, dazu zu ermächtigen, dass sie selbstgesteuert aus ihren Ideen etwas machen und es als Teil ihres Jobs rechtfertigen können.

 

 http://www.digitalattackmap.com/

 

Googles Ideen für mehr Cyber-Sicherheit

Milliarden Menschen sind noch nicht online. Ihnen Zugang zu Information und Meinungsfreiheit zu ermöglichen, ist das Hauptziel von Google Ideas. Jared Cohen leitet den Think-Tank mit Sitz in New York. Dort bauen Ingenieure, Forscher und Geopolitik-Experten Tools, die Menschen in autoritären Staaten die freie Meinungsäusserung erlauben sollen. Cohen warnt vor autoritären Ländern wie China, die das Internet zensieren. Auch die Türkei tue dies unter dem Vorwand des Kinderschutzes, gehe aber weit darüber hinaus. Gefährlich werde es, wenn sich autokratische Länder verbündeten, um das Internet im grossen Stil zu verändern.

Google Ideas entwickelt Produkte wie etwa eine interaktive Karte (siehe auch oben), die sogenannte Distributed-Denial-of-Service- oder DDoS-Attacken in Echtzeit zeigt. Täglich gibt es weltweit über 2000 solcher Angriffe, die mit massenhaften Zugriffen Server lahmlegen. So kann man verfolgen wie China eine grosse Attacke auf Server in Taiwan fährt. Cohens Team bietet mit dem Projekt Shield gleichzeitig auch ein Tool, das verhindern soll, dass mit solchen Angriffen Websites zum Schweigen gebracht werden.

 


Auch der Schutz der Internet-Nutzer ist Cohen wichtig: «Wir teilen unsere Zeit auf die physische und digitale Domäne auf. Doch digital sind wir alle dauernd krank.» Gehe man online, trete man in die geopolitische Arena voller Schadsoftware und Phishing-Systeme, nigerianischer Betrüger sowie chinesischer, russischer und iranischer Angriffe. «Sie können mehr oder weniger oft online sein, sind aber immer betroffen», sagt Cohen, der sein Handy seit der Geburt seines Kindes zu Hau- se neu gar zeitweise abschaltet.

Cohen rät den Nutzern, die Cyber-Sicherheit als Teilaspekt der physischen Gesundheit zu betrachten. Obwohl es einfache, kostenlose Wege gebe, um die Cyber-Sicherheit zu erhöhen, entschieden sich die wenigsten dafür. Gleichzeitig habe niemand ein Problem, den mühsamen und öden Prozess mit Ärzten und Spitälern auf sich zu nehmen, wenn man krank sei. Cohen hält das für ein norma­tives Problem: «Es wird einen Sinneswandel geben müssen», sagt er und greift zum Smartphone auf dem Tisch. «Erst wenn Leute dies als Teil ihres Körpers verstehen, werden sie mehr Verantwortung für ihre digitale Sicherheit übernehmen.» Leute gingen zum Arzt, weil sie starke Anreize hätten, gesund zu sein. Dieselben Anreize brauche es online. (mtz.)

 

Source

http://www.nzz.ch/

 

26.10.2015 | 11180 Aufrufe

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