Mobiles Bezahlen hat in China Hochkonjunktur. Der Trend läuft allerdings an den Banken vorbei, denn die Konsumenten greifen auf die Plattformen der führenden Internetkonzerne zurück.

Samstag in der grossen Stadt und die Brief- oder Handtasche vergessen, weder Bargeld noch Zahlungskarten in Reichweite, der Abend scheint gelaufen. Für Millionen von Chinesen ist das nicht unbedingt ein Ärgernis oder Schreckensszenario. Es geht lediglich darum, das sowieso schon praktisch an die Hand gewachsene Smartphone noch ein wenig fester umklammert zu halten.

 

Mobiles Zahlen ist in China sehr populär: Frauen in einem Freizeitpark in Hongkong. (Bild: Justin Chin / Bloomberg)

 

Mobile Zahlungssysteme sind im Reich der Mitte binnen kürzester Zeit zu einem festen Bestandteil im Alltagsleben geworden; auf sie verteilt sich ein immer grösserer Anteil der Abwicklung von lapidaren wie auch anspruchsvolleren Konsumvorgängen sowie geplanten und ungeplanten Zahlungsverrichtungen. Ein Schanghaier kann leicht einen kompletten Abend bestreiten allein mit dem Rückgriff auf bankenunabhängige Zahlungssysteme der Anbieter Alipay und Tenpay, hinter denen Chinas führende Technologiekonzerne Alibaba und Tencent stecken.

 

 

Smartphone statt Plastic

Dass Taxifahrten oder Kinobesuche von Apps gestützt und von unterwegs gebucht und bezahlt werden, ist in China die reinste Selbstverständlichkeit. In zahlreichen Gaststätten lässt es sich besser mit einem Smartphone denn mit einer Bankzahlungskarte wedeln, und bei Bedarf kann man auch die Gesamtrechnung im Freundeskreis elektronisch rasch aufteilen. Für den Schnelleinkauf im Laden gleich um die Ecke ist es zumindest in chinesischen Grossstädten mittlerweile ebenfalls ein Leichtes, die im Smartphone verankerten elektronischen Brieftaschen einzusetzen. Auch die monatlichen Abrechnungen für Strom, Gas und Wasser sowie Telekom-Gebühren werden in einem Land, dessen Bankensystem von jeher auf dem Kriegsfuss mit Lastschriftverfahren steht, vom jüngeren Publikum bevorzugt über sogenannte Third Party Payment Systems im Blitztempo erledigt.

 

 

Kritische Masse vorhanden

Die rasende Verbreitung von bankkartenunabhängigen Online-Zahlungen im Reich der Mitte hat zum einen mit einer im Vergleich zur Alten Welt höheren Technologieaffinität und einer praktisch permanenten Nutzung des Smartphones für Kommunikations- und Unterhaltungszwecke zu tun. Sie liegt zum anderen aber auch darin begründet, dass Alibaba und Tencent ihre jeweiligen Stärken als Betreiber von Plattformen für E-Commerce und Internetkommunikation zu kompletten Ecosystemen mit hochleistungsfähigen Plattformen für Zahlungsvorgänge und Internet-Finanzdienste ausgebaut haben. Auf diesem Wege ist es ein Leichtes, eine kritische Masse an Nutzern zu finden.

Rund 300 Mio. Chinesen, die regelmässig Alibabas E-Commerce-Plattformen Taobao und T-Mall zum Einkauf via Internet nutzen, sind per se mit dem hauseigenen Zahlungssystem Alipay, das sich etwa mit Paypal vergleichen lässt, vertraut. Und sie sind leicht dazu zu gewinnen, ihre Alipay-Konten auch für andere Verrichtungen zu mobilisieren. Tencent umgekehrt ist mit den Kommunikationsplattformen QQ und WeChat, welche Elemente von What's App, Facebook und Twitter miteinander verbinden und insgesamt auf mehr als 600 Mio. Nutzer kommen, im Alltag bereits so präsent, dass die 2013 erstmals eingeführten und sukzessive ausgebauten Applikationen für Zahlungs- und Finanzdienstleistungen quasi automatisch Verbreitung finden.

Während in westlichen Industrieländern eine eher schleppende Umstellung der bargeldlosen Zahlung am POS-Terminal (Point of Sale) zum mobilen Bezahlen stattfindet, scheint man in China die Etappe der Plastic-Karten-Verwendung mehr oder weniger zu überspringen. Die Bankkarte als Zahlungsmedium im Alltagsgebrauch hat sich in China erst Mitte der letzten Dekade langsam durchgesetzt. Langsam, weil die in der älteren Generation aus kommunistischen Zeiten herrührende Präferenz für die Bargeldverwendung nur zäh gewichen ist. Und dies, obwohl der Geldschein mit der höchsten Denominierung unpraktisch immer noch die rote 100 Yuan-Note ist, die umgerechnet lediglich 15 Fr. wert ist. Im Autohandel etwa ist man es noch immer gewohnt, dass chinesische Käufer sackweise mit Bargeld im Showroom auftauchen.

Alibaba als Finanzdienstleister

Zumindest beim jüngeren Publikum sieht man nun ein direktes Umstellen von Bargeld für Gelegenheitskäufe hin zu digitalen Zahlungsformen beim Einkauf via Internet wie auch für Anschaffungen im Alltag. Bei den Banken wird die Entwicklung missmutig beobachtet. Zwar spielt der Zahlungsverkehr im Ertragsprofil der chinesischen Grossbanken nur eine untergeordnete Rolle. Dennoch ist der chinesische Boom bei mobil genutzten Zahlungssystemen der Tech-Firmen eine Herausforderung für Chinas etablierte Banken. Alibaba und Tencent sind nämlich mit dem konsequenten Ausbau der Funktionalität ihrer Plattformen immer mehr zu Quasi-Finanzdienstleistern geworden und trumpfen dabei auch mit Angeboten in der Vermögensverwaltung auf ihren Plattformen auf.

 

 

Der Alibaba-Konzern, der trotz verschärftem Wettbewerb durch Tencent und dem bei Selbstbedienungsläden rasch verbreiteten Zahlungssystem Lakala den Markt für mobiles Bezahlen immer noch klar dominiert, ist auch hier der Platzhirsch. Der im Herbst 2013 gestartete und direkt mit Alipay verknüpfte Online-Geldmarktfonds Yu'ebao hatte vom Start weg bereits rasante Erfolge zu verzeichnen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil er anfangs mit Zinsen auftrumpfte, die in der Spitze fast 7% pro Jahr brachten.

 

 

Coup mit Geldmarktfonds

Durch eine mühelose Mobilisierung und Verschiebung von Geldern zwischen Alipay und Yu'ebao-Konten und der Möglichkeit, die verzinsten Guthaben für jeden erdenklichen Zahlungszweck einzusetzen, wird das System als eine Art Turbo-Girolösung wahrgenommen.

Alibaba hatte mangels einer Lizenz als Vermögensverwalter die zuvor gänzlich unbekannte Firma Tianhong als Kooperationspartner eingeschaltet. Über die Anbindung zu Alipay avancierte Tianhong quasi über Nacht zum führenden Verwalter chinesischer Geldmarktfonds. Zur Jahresmitte 2014 brachte es Yu'ebao bei über 100 Mio. Nutzern auf ein Verwaltungsvolumen von knapp 600 Mrd. Yuan (rund 92 Mrd. Fr.), also ein Volumen, das sich mit den grossen US-Geldmarktfonds messen konnte.

Die im Sommer vergangenen Jahres einsetzende Börsenhausse hat den Yu'ebao-Boom allerdings wieder abflachen lassen. Zum einen, weil sich Chinas Kleinanleger mit jedem verfügbaren Restguthaben in die Aktienspekulation über bei Broker unterhaltene Konti gestürzt haben. Zum anderen, weil eine Zinswende in China das dauerhafte Angebot von optisch attraktiven Konditionen für kurze Laufzeiten erschwert. Gegenwärtig hat sich die laufende Yu'ebao-Verzinsung mit einer Reduktion auf 3,2% um mehr als die Hälfte verringert, während die Zahl der aktiven Nutzer auf knapp 50 Mio. und das Verwaltungsvolumen auf etwa 250 Mrd. Yuan geschrumpft ist.

Überlegene Datenbank

Dennoch sind die Erfahrungen mit einem Angebot wie demjenigen von Yu'ebao ein Fingerzeig für die vielfältigen Möglichkeiten, die Plattformen der chinesischen IT-Riesen für Finanzdienstleistungen einzusetzen. Sie erweisen sich nicht nur als äusserst kostengünstiger Kanal der Vermarktung, in dem sich Hunderte Millionen von Chinesen täglich einloggen, sondern fungieren auch als perfekte Datenbank, wo sich die Konsum- und Zahlungsgewohnheiten der Nutzer registrieren und entsprechende Profile der Kreditwürdigkeit und Bonität abbilden lassen.

Für Alibaba und Tencent ist damit der Weg ins Konsumkreditgeschäft mit einer grossen Kundschaft bereits vorgezeichnet. Beiden Adressen gelang es bei der ersten Runde um neue Banklizenzen, mit denen die chinesische Regierung einen ersten Öffnungsschritt des staatlich dominierten Bankensektors für privates Kapital getan hat, mit von der Partie zu sein. Im Frühjahr haben MYbank und WeBank, hinter denen Alibaba und Tencent (mit Minderheitsbeteiligungen von 30%) stecken, ihre Geschäfte aufnehmen dürfen. Beide Institute werden keine Filialen haben, aber mit der Lizenz für Einlagen- und Kreditgeschäft im Rücken den Tech-Firmen neue Spielräume eröffnen.

Tencent etwa will in Kürze über WeChat ein neues Angebot namens "Weilidai", wörtlich übersetzt «ein klein wenig Kredit», starten. Dieses soll den Nutzern das Einräumen eines unbesicherten Konsumkredits in Höhe von bis zu 200 000 Yuan, also 30 000 Fr., erlauben.

 

 

Kooperation mit Banken

Mit solchen Vorstössen wird den chinesischen Grossbanken zwar nicht das Wasser abgegraben, auch weil die Nutzung solcher Produkte Zertifizierungsverfahren unterliegt, die eine herkömmliche Bankverbindung voraussetzen. Die Projekte zeigen der Branche aber, dass der Wettbewerb um Chinas Kunden mit ihren veränderten Zahlungsgewohnheiten und die Zukunft des Konsumkreditgeschäfts sehr viel stärker von der Erschliessung digitaler Finanzprodukte und Vertriebskanäle als bisher abhängen werden. Dies dürfte die chinesischen Grossbanken über kurz oder lang in Kooperationsabkommen mit den führenden Tech-Firmen zwingen im Bestreben, sich so einem kostspieligen direkten Wettbewerb zu entziehen und in der Kundenansprache auf der Höhe der Zeit zu bleiben.

 

Quelle

http://www.nzz.ch/wirtschaft/unternehmen/das-smartphone-stellt-die-plastic-karte-in-den-schatten-1.18625491

07.10.2015 | 113813 Aufrufe

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