Der Durchbruch bei der Gewinnung von Kautschuk aus Löwenzahn für die Reifenproduktion ist gelungen. Die jahrelange Forschung mündet nun in die Pilotphase im Vorfeld der industriellen Umsetzung. In Kooperation mit dem Fraunhofer Institut ist Continental weltweit führend.
Etwa zehn bis 30 Prozent eines Autoreifens bestehen aus Naturkautschuk, bei einem Lkw-Reifen können es noch mehr sein. „Naturkautschuk hat ganz besondere Eigenschaften, die sich durch synthetischen Kautschuk auf Basis von Erdöl nicht vollständig erreichen lassen“, sagt Dr. Andreas Topp, Material- und Prozessentwicklung Reifen. „Bei unseren Qualitätsstandards gibt es zum Naturkautschuk in vielen Bereichen keine Alternative.“
Bislang wird Naturkautschuk fast ausschließlich aus dem Kautschukbaum Hevea Brasiliensis gewonnen, einer Pflanze, die nur im „Kautschukgürtel“ um den Äquator kultiviert werden kann. Gleichzeitig wird der Bedarf an Naturkautschuk in den kommenden Jahren weltweit steigen. In Asien, Afrika und Südamerika werden Monokulturen geschaffen und Urwald gerodet, um den Markt zu bedienen. Allerdings braucht ein Kautschukbaum etwa sieben Jahre, bis er das erste Mal nutzbare Milch gibt. Der Markt wächst schneller als die Produktionsmöglichkeiten, was zu unkalkulierbaren Preisschwankungen führt.
Was wäre also, wenn es gelänge, einen Löwenzahn zu züchten, der in einem Maße Kautschuk liefert, so dass sich ein Anbau wirtschaftlich lohnt? Diese Idee hatten schon Wissenschaftler Anfang des 20. Jahrhunderts. Seitdem gab es zahlreiche Versuche und Projekte, die allesamt nicht zum Erfolg führten. Die Pflanzen lieferten entweder zu wenig Ertrag oder der gewonnene Rohstoff hatte nicht die gewünschte Qualität.
Mit Continental und dem Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie (IME) arbeiten zwei Partner gemeinsam an diesem Thema, die sich ideal ergänzen: „Mit Continental haben wir einen kongenialen Partner an unserer Seite“, sagt Prof. Dr. Dirk Prüfer vom Fraunhofer Institut. Während man am IME in Münster durch klassische Züchtung die Pflanze optimiert, stellen die Reifen-Experten aus Forschung und Entwicklung aus dem Kautschuk, der aus der Löwenzahnmilch gewonnen wird, Gummiproben her. Sie analysieren die Eigenschaften des neuen Roh- und Werkstoffs und geben die Ergebnisse zurück an die Biologen, die auf dieser Grundlage die Züchtung weiter in die gewünschte Richtung treiben.
Im Projektteam bündelt Continental alle nötigen Kompetenzen aus der Material- und Produktentwicklung. Der zentrale Steuerkreis setzt sich aus Vertretern von Continental und dem IME gleichermaßen zusammen, so dass ein transparenter und direkter Austausch von Informationen und Erfahrungen stattfindet und lösungsorientiertes Vorgehen in den Vordergrund gestellt werden kann. „Entstanden ist daraus etwas, dass man am besten als ein gemeinsames Technologie-Start-Up bezeichnen könnte“, sagt Dr. Topp. Auf Basis des Russischen Löwenzahns wird eine Pflanze gezüchtet, die wettbewerbsfähige Erträge liefert. Der Naturkautschuk, der aus der Wurzel gewonnen werden kann, steht dem traditionellen in nichts nach. „Der Löwenzahnkautschuk ist mit dem des Kautschukbaumes chemisch identisch“, sagt Dr. Topp. Damit verfügt Continental künftig über eine vollkommen neue Rohstoffquelle.
Der Löwenzahn ist zudem nach wie vor so anspruchslos, dass er sogar auf Böden gedeiht, auf denen Kartoffeln und Getreide kaum Erträge brächten. Die neuen Kulturpflanzen werden unter anderem in münsterischen Gewächshäusern weitergezüchtet. Mehr noch: Auf ersten Testfeldern wird der Anbau des Löwenzahns unter freiem Himmel vorangetrieben, um Kautschuk für Prototypen zu gewinnen und um Möglichkeiten zu erproben, wie Saatgut gewonnen werden kann. Denn es wird eine Menge Saatgut benötigt, wenn bald die „grüne“ Reifenproduktion beginnen soll.
Dafür soll der Löwenzahn aus dem Labor von Prof. Dr. Prüfer zunächst an geeigneten Continental-Standorten in Europa wachsen und das Unternehmen so unabhängiger vom Rohstoffmarkt mit Kautschuk machen. Außerdem liegen die ökologischen Vorteile auf der Hand: Die traditionellen Kautschuk-Transportwege um die halbe Welt werden minimiert, und der Anbau von Löwenzahn auf marginalen und schwachen Flächen „um die Ecke“ verhindert unnötige Abholzung von wertvollem Regen- und Urwald in den Tropen. Kautschukbaum-Monokulturen umfassen bereits jetzt schon allein in Asien mehr als zehn Millionen Hektar.
Das Projekt schafft neue Perspektiven für die Schonung der Umwelt, aber auch für das Unternehmen Continental. „Wir investieren in das Projekt, weil wir überzeugt sind, dass wir dadurch unsere Reifenproduktion langfristig weiter verbessern können“, sagt Nikolai Setzer, der im Continental-Vorstand für die Division Reifen verantwortlich ist. „Dieses Projekt zeigt eindrucksvoll, dass wir hinsichtlich Materialentwicklung noch lange nicht am Ende unserer Möglichkeiten angekommen sind.“ Und Prof. Dr. Prüfer vom Fraunhofer Institut arbeitet bereits am finalen Meilenstein des Projekts Löwenzahn: „Jetzt ist es an der Zeit, diese Technologie über den Pilotstatus hinaus zur industriellen Reife zu bringen.“