Zu schwerfällig, zu unflexibel sind heutige Roboter, um sensibel mit Mensch und Umwelt umzugehen. Nun greifen Forscher zu radikal neuen Materialien und Konzepten. Ihr Ziel: den Roboter neu erfinden.

 

 

 

Erinnern Sie sich noch an Aibo, den Roboterhund? Er hörte auf Kommandos seines Herrchens – und zwar besser als so mancher echte Hund –, konnte Freude und Ärger ausdrücken, und er war lernfähig. Aber er sah aus wie der Hund von Robocop. Knuddeln mit Aibo? Fehlanzeige. 2006 schläferte Sony seinen Roboterhund wieder ein. An Aibo wird ein grosses Problem der gegenwärtigen Robotik deutlich: Die Blechkameraden werden immer besser, aber zu nahe möchten wir ihnen nicht kommen. Industrieroboter können uns sogar gefährlich werden. In Fabriken sind die schnell herumwirbelnden, wuchtigen Roboterarme deshalb meist hinter Gitter und Lichtschranken gesperrt, damit sie niemanden verletzen.

 

 

Gleichwohl kommen uns die Automaten immer näher. Sie saugen unsere Wohnungen, putzen unsere Fenster, sollen künftig auch unsere Kinder und Senioren betreuen. Und der kinderleicht programmierbare Industrieroboter Baxter wurde eigens dafür gebaut, eng mit Menschen zusammenzuarbeiten. Nur: Wie soll das mit den grobmotorischen Blecheimern gehen? «Seit rund fünfzig Jahren bauen wir Roboter aus den gleichen Materialien, aus denen wir auch Geschirrspüler oder Autos bauen», sagt Dario Floreano, Robotikforscher an der ETH Lausanne (EPFL) und Mitbegründer des Swiss National Center of Robotics. Doch irgendwann hätten Floreano und seine Kollegen realisiert, dass das gravierende Nachteile hat: «Roboter sind gefährlich, sie sind nicht so robust wie biologische Systeme, und sie können mit Objekten in unbekanntem Terrain schlecht umgehen.»

Nicht wir, sondern die Roboter müssen sich ändern, beschlossen die Wissenschafter. Der junge Forschungszweig «Soft Robotics» war geboren, dessen Ziel es ist, den Roboter mit anderen Materialien noch einmal neu zu erfinden. Soft Robots können aus Gummi, Silikon, elektroaktiven Kunststoffen oder Metallen mit Formgedächtnis bestehen. Häufig sind es nicht mehr Elektrizität und Motoren, die diese Roboter antreiben, sondern Druckluft, Flüssigkeiten in feinen Kanälen oder chemische Reaktionen.

 Bis anhin orientierten sich Robotiker an den Bewegungsprinzipien von Wirbeltieren oder Insekten: Harte Gliedmassen bewegten sich mittels Gelenkverbindungen. Wer nun bei den Soft Robots Pate steht, das kann man bei Cecilia Laschis Gebilden sofort sehen: In ihrem Labor am BioRobotics Institute der Scuola Superiore Sant'Anna in Pisa kriechen und schwimmen kleine Kreaturen auf Tentakeln in Wasserbecken herum. Das sieht noch etwas unbeholfen aus, aber das Vorbild ist leicht zu erraten: Tintenfische. Wenig überraschend heissen Laschis Soft Robots auch Octopus und PoseiDrone.

 

 

Laschis Team baut Tentakel aus Silikon nach und stattet diese mit künstlichen Muskeln aus. In ihrem Inneren verlaufen dünne Drähte aus Metalllegierungen mit Formgedächtnis. Legt man Strom an, heizen sie sich auf und ziehen sich zusammen. Stoppt der Stromfluss, springen sie wieder in ihre ursprüngliche Form zurück – wie eine Feder. Durch geschickte Quer- und Längsanordnung der Drähte können die Tentakel kürzer oder länger werden und bewegen Octopus und PoseiDrone in jede gewünschte Richtung. Noch brauchen die beiden Soft Robots eine Steuereinheit aus harten Teilen und Batterien – weiche Roboter sind ungleich komplexer zu steuern als harte, deren Gliedmassen weniger Freiheitsgrade haben. Aber irgendwann werden das die Tentakel auch autonom schaffen, hofft Laschi.

 

 

Der Octobot, den Jennifer A. Lewis und ihre Kollegen von der Harvard University in Cambridge konstruiert haben, geht noch einen Schritt weiter. Er besitzt überhaupt keine harten Komponenten mehr – auch keine Batterie. Der kleine, künstliche Tintenfisch entsteht im 3-D-Drucker, ist nur etwa so gross wie eine SD-Speicherkarte und wird mit Wasserstoffperoxid angetrieben. Die flüssige Chemikalie fliesst aus zwei Reservoiren in seinem Kopf durch ein Netz in seine Glieder. Dort trifft die Flüssigkeit auf einen Platinkatalysator, der sie in Gas umsetzt, welches wiederum die Tentakel des Octobot pneumatisch antreibt. Der «Sprit» reicht für etwa acht Minuten.

 

 

Ist das überhaupt noch ein Roboter? Ja und nein, findet Jonathan Rossiter, Professor für Robotik an der Universität Bristol, einer der Pioniere der Soft-Robotik. «Unter einem Roboter verstehen wir eine Maschine, die eine komplexe Folge von Aktionen automatisch ausführen kann», sagt er, während ein Soft Robot «eher einem künstlichen Organismus als einer Maschine» ähnele. Man solle ihn sich eher als etwas vorstellen, «was einen Körper, ein Gehirn und einen Magen besitzt», so Rossiter. Octobot kommt dieser Vorstellung schon recht nahe.

 

Aber sollen denn künftig Tintenfische unsere Autos bauen, unsere Wohnungen saugen, unsere Alten pflegen? «Soft Robots werden nicht die Roboter sein, die Strassen oder Autos bauen», sagt Barry Trimmer von der Tufts University in Massachusetts. Hingegen seien weiche Roboter immer dann überlegen, wenn Interaktion mit und Anpassung an eine sich ändernde Umwelt gefragt sind: «Soft Robots können sich mit ihren weichen Körpern durch enge Spalten quetschen, sie könnten Verschüttete nach Katastrophen wie Erdbeben suchen.» Weil sie zudem leichter sind als ihre Vettern aus Metall, sind sie für die Raumfahrt interessant. Sie könnten künftig ferne Planeten erkunden.

 

 

Hier auf Erden sind vielmehr Roboter gefragt, die sowohl weich als auch hart sein können. Der Industrieroboter Baxter zeigt, wo harte Roboter ihre Grenzen haben: Zwar kann er am Fliessband harte Bauteile greifen und auf ganz bestimmte Weise zusammensetzen. Aber schon an einem Karton roher Eier würde Baxter mit seinen zangenartigen Greifern scheitern. «Man muss bei Hard Robots für jedes Objekt unterschiedlicher Konsistenz jedes Mal die Software neu anpassen», sagt Dario Floreano. Die Software muss also die unflexible Hardware des Roboters ausgleichen – ein mühseliger Ansatz, der zudem in einer natürlichen Umwelt nicht praktikabel ist. Diese Flexibilität im Umgang verdeutlicht kein Körperteil so sehr wie die menschliche Hand. Ob Eier, Hanteln, Wackelpudding oder ein Haar – sie kann alles greifen.

 

 

Nun könnte man meinen, die Soft-Robot-Lösung wäre einfach eine Terminator-Stahlhand mit Fleisch ummantelt. Aber Soft-Robotiker gehen weitaus kreativere Wege:

Beispiel 1: Die Surimi-Hand. MIT-Wissenschafter haben Baxter eine Hand mit drei Silikon-Fingern gebaut, die aussehen wie riesige Surimis (das sind Röllchen aus Krebsfleisch, die vor allem in der japanischen Küche Verwendung finden). Speziell angeordnete kleine Lufttaschen in ihrem Inneren bewegen sie pneumatisch. Damit kann Baxter nicht nur Eier heben, sondern auch CD, Stifte oder Papierblätter.

Beispiel 2: Die Tentakel-Hand. Auch die deutsche Firma Festo hat sich im Meer umgeschaut und aus Silikon eine Tentakel-Hand gebaut. Anders als bei Laschis Octopus sorgt Druckluft für die Krümmung, die Saugnäpfe passen sich an das zu greifende Objekt an. Besonders gut ist die Tentakel-Hand bei runden, glitschigen Objekten.

 

 

Beispiel 3: Die Gummiball-Hand. Dieser exotischere Ansatz stammt von der Firma Empire Robotics: Ein grüner, mit Sand gefüllter Ball dient als Greifer. Zuerst wird Luft in den «Versaball» gepumpt, was ihn weich macht. Dann drückt er auf das zu hebende Objekt, die Luft wird abgesaugt, was den Sand zusammendrückt – dabei packt der Ball das Objekt. Die Ball-Hand übertrifft die menschliche sogar, wenn es darum geht, spitze Dinge wie Scherben aufzusammeln. Sie kann sogar Bälle aufheben und fortschleudern.

Beispiel 4: Die Flossen-Hand. Dario Floreano und seine Kollegen haben einen Greifer aus zwei eineinhalb Gramm leichten Flossen gebaut, die aus einem dehnbaren Kunststoff bestehen. Im Innerem stecken biegsame, flache Elektroden. Legt man Strom an, klappen sich die Flossen um das Objekt und halten es mittels Elektroadhäsion. Eier, ein loses Blatt Papier – alles kein Problem für die Flosse. Sie kann das 80-Fache ihres eigenen Gewichts heben.

 

 

«Die wahren Gewinner», sagt Dario Floreano, «werden jene Roboter sein, die hart sind, wenn man Kraft braucht, um bestimmte Aufgaben auszuführen, und die weich sein können, wenn es darum geht, mit der Umwelt zu interagieren.» Weiche Schale, harter Kern – das könnte die Zukunft der Robotik sein. Und wer weiss – vielleicht kommt auch Robohund Aibo irgendwann in einer weichen, knuddeligen Version zurück. Dann aber hoffentlich ohne Tentakel.

 

Quelle: NZZ

23.08.2017 | 51521 Aufrufe

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