Spezielle mikrostrukturierte Silizium-Oberflächen weisen Wassertropfen so stark ab, dass letztere in die Höhe katapultiert werden. Materialien, die Wasser und Eis von selbst extrem stark abstossen, sind in der Luftfahrt und vielen anderen technischen Anwendungen begehrt. ETH-Forscher haben jetzt herausgefunden, wie man die starren Oberflächen solcher Materialien gezielt designen.

 

Wer in den nächsten Monaten mit dem Flugzeug reist, wird möglicherweise Zeuge eines winterlichen Luftfahrt-Rituals, bei dem die Tragflächen vor dem Start mit einer Spezialflüssigkeit von Eis und Schnee befreit werden. Das ist nötig, da kleinste Wassertröpfchen in der Luft bei bestimmten Wetterbedingungen zu Eis gefrieren können, wenn sie sich auf den Flugzeugflügeln niederlassen. Das wiederum kann zu einer Verwirbelung des Luftstroms beim Start und dadurch zu einem geringeren Auftrieb führen, was schnell gefährlich werden kann.

Noch besser als eine solche Enteisung wäre natürlich, wenn die Eistropfen erst gar nicht an den Tragflächen hafteten oder von diesen gar aktiv abgestossen würden. ETH-Forscher haben jetzt in einer im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlichten Studie gezeigt, dass es im Prinzip möglich ist, Materialien zu entwickeln, die gegen Eis und Wasser geradezu allergisch sind. Zunächst einmal brachten sie dazu kleinen Wassertröpfchen das Trampolinspringen bei.

ETH-Professor Dimos Poulikakos und seine Mitarbeiter am Labor für Thermodynamik in neuen Technologien studierten das Verhalten von Wassertropfen auf Oberflächen, indem sie einen millimetergrossen Tropfen auf eine speziell bearbeitete starre Silizium-Oberfläche setzten und dann den Luftdruck in der Experimentierkammer stetig absenkten, während eine Hochgeschwindigkeitskamera den Tropfen filmte. Zunächst blieb der Tropfen still auf der Oberfläche liegen, doch bei etwa einem Zwanzigstel des normalen Atmosphärendrucks sprang er plötzlich hoch. Nach einem kurzen Hüpfer landete der Tropfen schliesslich wieder auf der Oberfläche und sprang erneut hoch – und zwar noch höher als beim ersten Mal. Wie ein Trampolinspringer, der mit jedem Sprung vom elastischen Sprungtuch an Höhe gewinnt, wurde auch der Wassertropfen bei jedem Kontakt mit der Oberfläche immer höher geschleudert, obwohl diese absolut starr war. Was für den Laien nach Magie aussieht, erscheint dem Experten zunächst einmal als die vermeintliche Verletzung grundlegender physikalischer Gesetze, nach denen ein Körper, der auf eine starre Oberfläche trifft, eigentlich nicht spontan Bewegungsenergie gewinnen und damit höher zurückspringen kann. Genau dies aber scheint beim trampolinspringenden Wassertropfen zu geschehen.

Um zu verstehen, woher die Kraft kam, welche die Wassertröpfchen hochschleuderte, analysierte Poulikakos mit seinen Postdoktoranden Tom Schutzius und Stefan Jung bis ins Detail die Bewegungen des Tropfens sowie, mit einer Wärmebildkamera, die Temperaturverteilung in seinem Inneren. Die ETH-Wissenschaftler, die in den letzten Jahren bereits einigen Rätseln von Wassertropfen auf die Spur gekommen sind, fanden jetzt heraus, dass das Zusammenspiel der natürlichen Wasserverdampfung und der Mikrostruktur der Materialoberfläche für das Trampolin-Phänomen eine entscheidende Rolle spielt. Der Überdruck, der durch die Verdampfung zwischen Oberfläche und Tropfen entsteht, schleudert diesen wie eine Feder bei jedem Aufprall in die Höhe. Beim Gefrieren eines weit unter null Grad gekühlten («supergekühlten») Wassertropfens wird der Verdampfungseffekt durch die so genannte Rekaleszenz weiter verstärkt. Dieser Effekt ist aus der Metallverarbeitung bekannt, etwa bei geschmiedetem Eisen, das sich während des Abkühlens kurzfristig noch einmal von selbst bis zur Rotglut erhitzt. Das liegt daran, dass das Innere des Eisens erstarrt und dabei latente Wärme freisetzt.

Ganz Ähnliches geschieht bei einem Wassertropfen: Ein Tropfen, der durch Verdunstung von Wasser an seiner Oberfläche unter den Gefrierpunkt abkühlt, bildet zunächst Eiskristalle. Die Wärme, die bei diesem Phasenübergang von flüssig zu fest abgegeben wird, heizt den Tropfen dann schnell auf null Grad auf. «Diese Erwärmung passiert in wenigen Millisekunden», erklärt Schutzius, «und führt im Anschluss daran zu einer explosiven Verdampfung.» Daraufhin kühlt der Tropfen erneut ab, und der Zyklus wiederholt sich. Die explosive Verdampfung führt zu einem noch grösseren Überdruck zwischen Tropfen und Oberfläche und lässt ihn dadurch wie eine Rakete abheben.

Der eigentlich Clou des Ganzen liegt allerdings in der Oberfläche selbst: Zum einen muss sie rau sein, damit der Wassertropfen nicht an ihr hängen bleibt, zum anderen aber darf sie nicht zu rau sein, da sonst der Wasserdampf zu schnell durch die Poren und Ritzen der Oberfläche entweichen und der Raketeneffekt damit buchstäblich verpuffen würde. Die von den ETH-Forschern hergestellten mikrostrukturierten Silizium-Oberflächen erfüllen genau diese Bedingungen: Sie bestehen aus kleinen (nur wenige Mikrometer grossen) Säulen, die im Abstand von etwa fünf Mikrometern regelmässig angeordnet sind.

«Aus unseren Forschungsergebnissen können wir ableiten, wie Oberflächen generell beschaffen sein müssen, um Wasser und Eis energisch abzustossen, und sie dann entsprechend designen», sagt Poulikakos. In ihrem Experiment untersuchten die Forscher verschiedene Materialien, darunter oberflächenbehandeltes Aluminium und Kohlenstoff-Nanoröhren. Um den Trampolin-Mechanismus noch praxistauglicher zu machen, müsste man freilich soweit kommen, dass er auch bei normalem Luftdruck funktioniert. Poulikakos und seine Mitarbeiter hoffen, in den nächsten Jahren Fortschritte in diese Richtung zu machen. Dann wären verschiedenste Anwendungen denkbar, die von eisfreien Hochspannungsleitungen bis hin zu wasser- und eisabweisenden Strassenbelägen reichen – und vielleicht eines Tages die Enteisung von Flugzeugflügeln überflüssig machen.

 

Quelle

https://www.ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2015/11/trampolinspringende-wassertroepfchen.html

04.11.2015 | 12070 Aufrufe

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