Im Internet-Zeitalter wächst der Wunsch nach traditionellen Werten: Wir sprachen mit Zukunftsforscher Peter Wippermann über die Wohnformen von morgen. Peter Wippermann ist deutscher Trendforscher und Professor für Kommunikationsdesign an der Folkwang Universität der Künste in Essen.

Zukunftsforscher Peter Wippermann

© Trendbüro Hamburg

In den 50er Jahren galt die neue Sachlichkeit als chic, schnörkelloses Design prägte die Wohnwelt. Heute, da immer mehr Büroarbeiten zuhause stattfinden – ich denke an Homebanking, Reisebuchungen, Homeshopping – sehnt man sich nach einem kuscheligeren Wohnumfeld.

...das wir Frauen gerne dekorieren und umgestalten...

Ja, die Fashion-Idee, das schnell wechselnde Inszenieren macht Frauen Spaß und überrascht uns Männer immer wieder. Die Atmosphäre wird durch Accessoires verändert. Was im Modebereich Schals, Taschen, Gürtel bewirken, schaffen zuhause Blumen, Stoffe und andere Textilien. Da werden Kissen oder Vorhänge ausgetauscht, eine anders farbige Tischdecke aufgelegt und gemusterte Teppiche ausgerollt, was lange absolut verpönt war. Auch die Wiederentdeckung des Ornaments gehört dazu.

Haben Frauen denn andere Wohnbedürfnisse als Männer? Und wenn ja, wer bestimmt die gemeinsame Einrichtung?

Ästhetische Entscheidungen sind zu 80 Prozent weiblich. Männer befassen sich beim Einrichten eher mit der technischen und ökonomischen Seite. Aber: Die Männer holen auf und haben in den letzten 60 Jahren zunehmend Bereitschaft entwickelt, sich mit Farben, Formen und ihrer Wirkung zu befassen. Für Jüngere ist das oft schon selbstverständlich.

Seit wann beobachten Sie den Hang zum Retro-Trend?

Seit ungefähr fünfzehn Jahren sehe ich einen fast radikalen Rückgriff auf Zeitinseln wie die 50er, 60er, aber auch die 30er Jahre, also eine bewusste Retraditionalisierung des Wohnens. Ich denke, die Sehnsucht nach Tradition wächst, je mehr sie uns verloren geht; ersatzweise wird sie künstlich inszeniert.

Auch der offene Kamin erfährt ein Revival. Soll er in sozial kalten Zeiten das wärmende Lagerfeuer ersetzen?

Soweit würde ich nicht gehen. Wenn ich nach Hause komme und der Kaminofen brennt, fühle ich mich einfach wohl, richtig daheim. Das schafft kein Fernseher. Draußen ist das Klima rau, also brauchen wir Inseln der Geborgenheit. Was verloren gegangen ist, steigt im Wert und kehrt zurück in Ritualen, die man bewusst inszeniert und genießt.

Sind wir deshalb von Kerzen so fasziniert oder nur hoffnungslos romantisch?

Die Kerze ist eigentlich das Symbol für Zeit, vergleichbar mit der Sanduhr. Während wir uns per Internet gleichzeitig an mehreren Orten und in verschiedenen Zeiten bewegen können, hat die Kerze eine eigene Zeit, nur abhängig von Dochtlänge und Wachsmenge. Sie ortet uns und lässt uns innehalten – wir genießen die Entschleunigung.

Viele unserer Leser wohnen, dank Fleiß und Zielstrebigkeit, im Eigenheim. Hat dieses Wohnmodell Zukunft?

In wirtschaftlich unsicheren Zeiten sagen zu können: „Egal, was passiert, hier bin ich zu Hause, hier bin ich sicher“ ist eine große emotionale Kostbarkeit. Da das Globale unsere Arbeitswelt immer stärker bestimmt, bekommt das Lokale, die Heimat wieder einen hohen Stellenwert. Spätestens ab Mitte Dreißig möchte man sich verwurzeln und wissen, wo man hin gehört.

Das hängt aber auch von der Familienplanung ab, oder?

Ja, und in diesem Zusammenhang beobachten wir eine Wanderbewegung vom Land in die Stadt, weil das Leben dort attraktiver wird und sich leichter organisieren lässt, dank besserer Infrastruktur, Kultur- und Gesundheits-Angeboten.

Wie entwickeln sich die Wohnungen, welche Räume werden uns wichtig sein?

Obwohl die Haushalte kleiner und die Singles mehr werden, geht der Trend zu größeren Wohnungen. Das Bad wird weiter an Bedeutung gewinnen, die Küche eher verlieren – trotz der erfolgreichen Kochshows. Individuelle Kombiräume überwinden die klassische Trennung von Schlafen und Baden, Arbeiten, Essen und Wohnen.

Die neuen Medien haben unser Leben rasant verändert: Es zeichnet sich eine zunehmende Technisierung der Haushalte ab. Was kommt da auf uns zu?

Das Internet wird die Nabelschnur zur Außenwelt, beliefert uns mit Informationen, ermöglicht Interaktion in allen Lebensbereichen. Die Jungen wachsen ganz selbstverständlich in diese Welt hinein und finden es normal, mehrere Medien gleichzeitig zu nutzen. Wir könnten schon heute mit einem internetfähigen Handy das Hausmanagement steuern: Klima und Heizung, Beleuchtung und Gartenbewässerung, Einbruch- und Sonnenschutz. Noch ist die Handhabung kompliziert, und die Kosten für ein digitales Rundum-Sorglos-Programm sind hoch. Doch in Zukunft werden die digitalen Netzwerk-Medien unseren Wohnalltag zunehmend erleichtern.

26.11.2014 | 1974 Aufrufe

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