Ist das die Wende im Kampf gegen die gefürchtete Alzheimer-Krankheit? Erstmals konnten amerikanische Pharmaforscher bei Demenzpatienten die Zerstörung des Gedächtnisses messbar verlangsamen - mehr aber auch nicht.

Wenn es Jahre lange dunkel ist um einen herum, stockdunkel, dann sieht plötzlich jedes Leuchten im tiefen Verlies so aus, als hätte jemand endlich die Tür aufgestoßen. Einen Spaltweit wenigstens. Das wäre schon der Hoffnungsschimmer, wie ihn sich die Alzheimerforschung wünscht - wie sich das jede Gesellschaft wünschen sollte. Denn die Alzheimerkrankheit, der unaufhaltsame, zerstörerische Verlust des Gedächtnisses und der Persönlichkeit, breitet sich umso unbarmherziger aus, je älter die modernen Völker werden: 44 Millionen sind es heute schon weltweit, bis Mitte des Jahrhunderts wird sich die Zahl der Alzheimerkranken verdreifachen.

Wie ausradiert: Die Zerstörung immer größerer Teile des Gehirns führt zum großen Vergessen und am Ende sogar zum Verlust der Persönlichkeit. Illustration F.A.S./ Istock, Foto Dieter Rüchel

Nun also ein Licht. Auf der Tagung der internationalen Alzheimer-Gesellschaft in Washington präsentierte die amerikanische Pharmafirma Eli Lilly neue Daten zu einer laufenden Patientenstudie mit dem humanisierten Mäuse-Antikörper „Solanezumab“. Schon in Nizza vor ein paar Monaten hatte die erste Präsentation dieser Studie Funken der Hoffnung erzeugt. Und das nach der Erfahrung der absoluten Dunkelheit. Denn nachdem man im Jahr 2012 mit dem Antikörper in einer sehr heterogenen Gruppe von zweitausend leicht- bis mittelstark kognitiv beeinträchtigten Patienten statistisch keinerlei Effekte ermittelt hatte, wurde der Antikörper nach der Veröffentlichung im „New England Journal of Medicine“ von vielen schon in die Reihe der Rohrkrepierer eingeordnet.

Nun also die ersten messbaren Verbesserungen: In den standardisierten Alzheimertests schnitten die aus der Ursprungskohorte herausgepickten Patienten mit einer milden Demenz - „mild cognitive impairment“ - merklich besser ab. Wem die Krankheit schon einen Großteil des Gedächtnisses geraubt hat, dem ist offensichtlich nicht zu helfen. Anders im Frühstadium - wenn wenigstens noch vierzig Prozent der Hirnzellen funktioniert. Das ist oft ein oder zwei Jahrzehnte vor dem Auftreten deutlicher Demenzsymptome der Fall.

Darum geht’s: ein menschliches Gehirn.

In der neuen, der Folgestudie, wurden sechshundert Patienten im Frühstadium mit „Sola“ behandelt. Dass man mit dem Antikörper tatsächlich die Verursacher der Krankheit gebremst hat, nämlich die toxischen Amyloidbeta-Proteine, die für die Bildung der gefürchteten Plaques und zum Absterben der Nervenzellen führen, ergibt sich für Studienleiter Eric Siemers von Eli Lilly aus dem Design der Studie. Denn die Gruppe der Behandelten bestand gut zur Hälfte aus Patienten, die vorher ein Scheinmedikament, ein Placebo, erhalten hatten.

Nun also bekamen alle Patienten, wenn sie es denn wünschten, den Antikörper. Die Hälfte von ihnen startete die Therapie eben nur anderthalb Jahre später. Die Überlegung dabei: Wenn man bei ihnen wie bei den zuvor schon mit Antikörpern behandelten Patienten eine Verzögerung des Gedächtnisabbaus feststellt und das Ausmaß des Therapieeffektes in etwa auch diesen verspäteten Beginn der Behandlung spiegelt, dann ist das für die Wissenschaftler ein wichtiger Hinweis: Das Mittel wirkt offenbar gegen die schädlichen Protenine im Kopf. Tatsächlich wurde genau das festgestellt - nach 28 Wochen Antikörper-Behandlung, wie man in Nizza gezeigt hat, und auch nach 53 Wochen Therapie, wie das jetzt in Washington demonstriert wurde.

Schrumpfendes Hirn: Normales Gehirn eines 70jährigen (rechts) und eines gleichaltrigen Alzheimer-Patienten. David M. Holtzman of the Washington University

Für den Heidelberger Alzheimer-Forscher Konrad Beyreuther vom Netzwerk Alternsforschung ist das der lange erhoffte „Proof-of-Principle“ - der erste Nachweis, dass eine Antikörper-Therapie, wenn sie an geeigneten Patienten angewendet wird, tatsächlich funktioniert. „Es ist schon ein Durchbruch“, sagt Beyreuther. Ein Durchbruch, der den Pionier der Amyloid-Forschung umso mehr begeistert, als „in der Vergangeheit alles negativ war“. Um ein Drittel, hat man bei Eli Lilly ausgerechnet, werde die Geschwindigkeit des Gedächtnisverlusts gebremst.

Wer sich eine Heilung für Alzheimer verspricht, wird von diesem Resultat enttäuscht sein. Tatsächlich zielt Solanezumab nicht gegen die Proteinplaques, die sich im Gehirn ablagern, sondern gegen die löslichen Vorläuferproteine in der Hirnflüssigkeit, aus denen die fatalen Ablagerungen im Nervengewebe entstehen. Auch ein zweiter Antikörper der Firma Biogen - Aducanemab -, der ebenfalls gegen das Amyloidbeta-Protein gerichtet ist, macht den Alzheimerforschern Hoffnung, denn auch er vermag offenbar die gefürchteten Amyloidproteine abzufangen. Allerdings hat man bei den in Washington präsentierten neuen Daten aus dieser - verglichen mit Eli Lilly - deutlich kleineren Studiengruppe, auch gesehen, dass die Antikörper-Therapie ihre Tücken hat: Künstliche Antikörper in die betroffenen Hirnregionen unterhalb der Großhirnrinde zu bringen, ist durchaus mit der Gefahr von Nebenwirkungen - Hirnschwellungen etwa - verbunden. Die Dosierung scheint bei bestimmten Mitteln genau so wichtig wie das Stadium, in der die Behandlung beginnt. Immerhin: Viele Jahre war man daran gescheitert, die Antikörper überhaupt in die Zielregion zu bringen.

Bleibt eine entscheidende Frage: Ist Amyloidbeta, das krank machende und bei Alzheimer-Patienten von einem normalen APP-Protein fehlerhaft abgespaltene Protein, tatsächlich die Wurzel des Übels? Ist Amyloidbeta wirklich das korrekte Ziel, oder sind die Plaques nur quasi ein Nebeneffekt für einen ganz anderen, krankmachenden Auslöser? „Wir sehen, dass das Proteinfragmend giftig ist für die Nervenzellen“, sagt Beyreuther, „aber niemand von uns weiß, warum eigentlich und wie genau es eigentlich die Hirnzellen zerstört.“ Für den Heidelberger Alzheimerforscher wäre schon viel erreicht, wenn sich diese ersten Therapieerfolge bestätigten.

Eine Pflegefachkraft (hier in Leipzig) kümmert sich um eine schwer demenzkranke Frau. DPA

Drei Antikörper sind weiter im Rennen. Roche mit Gantenerumab, der in den ersten Studien ähnlich schwache Ergebnisse produzierte wie Eli Lilly mit „Sola“. Und eben der Antikörper von Biogen, Aducanumab, der gegen die zerstörerischen Verklumpungen im Gehirn gerichtet ist. Eli Lilly, das bisher mit seiner Extension-Studie die meisten Hoffnungen weckte, rekrutiert derzeit für eine vierte große „Sola“-Studie mit weiteren tausend Patienten. Mit den neuen Ergebnissen ist zumindest fürs Erste etwas Licht in das Therapieverlies der Alzheimer-Forschung gedrungen.

Source:

von Joachim Müller-Jung

http://www.faz.net/aktuell/wissen/alzheimer-therapie-es-ist-schon-ein-durchbruch-13717305.html

12.08.2015 | 584 Aufrufe

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